Wir dürfen das Weltall nicht einengen, um es den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens anzupassen, wie der Mensch es bisher zu tun pflegte. Wir müssen vielmehr unser Wissen ausdehnen, so dass es das Bild des Weltalls zu fassen vermag.

Francis Bacon, engl. Philosoph

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Vor Kurzem teilte mir ein Student, der kurz vor seinem Master-Examen steht, eine interessante Beobachtung mit: Sein Vater reichte ihm den Bestseller der 80er Jahre „In Search of Excellence“ von Peters & Waterman aus seiner Bibliothek, den er mit großem Interesse las. Doch seine Frage war berechtigt: Warum sind die meisten Benchmark-Unternehmen aus diesem Buch heute nicht mehr existent? Was ist passiert? Diese Fragestellung erweiterte ich um die Perspektive, warum viele einst exzellente Unternehmen, Pioniere und Marktführer, oft so abrupt scheitern. Die Liste ist lang, von Atari bis Wang, und in jüngeren Jahren finden sich Namen wie Kodak, Polaroid, Enron, Nokia, Toys „R“ Us oder Blockbuster bis hin zu aktuell WeWork oder Signa.

In den meisten Fällen liegt der Grund darin, dass es diesen Unternehmen nicht gelang, den nächsten Unternehmenslebenszyklus mit lebensfähigen Geschäftsmodellen und Leistungen zu erreichen. Sie haben den innovativen Anschluss verpasst, weil sie fundamentale Entwicklungen ignorierten und falsche Managemententscheidungen trafen, oft begleitet von der Überheblichkeit vergangenen Erfolgs.

Wie Unternehmen die Welt verstehen, so führen sie auch. Ein häufiges Defizit auf dem Weg zu Fehlentscheidungen ist das Festhalten an Branchen- oder Produktmärkten anstelle der Fokussierung auf das „Originäre Kundenbedürfnis“ (OK) und den daraus resultierenden „Strategisch Relevanten Markt“ (SRM).

Dabei geht es nicht nur um oberflächliche Produkte oder Dienstleistungen, sondern um die tiefere Intention und Motivation hinter der Nachfrageentscheidung. Wer diese erkennt und ihnen näherkommt als seine Wettbewerber, hat die Nase vorne. Für manchen Anbieter ist weniger der Konkurrent einer vergleichbaren Lösung das Risiko, sondern ein oftmals außerhalb seiner Wahrnehmung aus einer anderen Branche kommender Anbieter, der ungewohnte Wege näher am OK beschreitet. Nicht immer, aber in vielen Fällen liegt das OK weit von der vordergründigen Funktion oder dem Nutzen des ersten Anscheins weg. Dort liegt die Zone fundamentaler Innovationen.

  • Die meisten Käufer eines Rasenmähers z.B. kaufen diesen nicht, weil er so ein aufregendes Produkt, sondern weil er notwendiges, meist alternativloses Übel für einen geschnittenen Rasen ist. Die eigentliche Kaufintention ist nicht der Mäher, sondern der Wunsch nach einem gepflegten Garten, in dem man seine Freizeit genießen kann. Wenn nun ein Anbieter käme, der dem Gartenfreund einen gentechnisch behandelten Grassamen bietet, der aktuell häufiger Trockenheit ebenso widersteht, wie nach dem Aussähen bei 2 cm stehen bleibt, würden sicher viele keinen Mäher mehr kaufen, weil das OK auf viel effektivere Weise gelöst werden kann.

Jedes Unternehmen muss daher die bedienten OKs (er)kennen, um zum einen die Risiken aus ganz anderen Branchen zu sehen, zum anderen Innovationen aus neuen Blickwinkeln zu erschaffen. Die zentrale Aufgabe lautet daher: Was ist mein „Job to do“, um diese originäre Intention des Kunden besser als alle anderen zu befriedigen? Dabei kann es durchaus sein, dass die Triebfeder des Kaufs im noch nicht bewussten und kommunizierbaren Latenz-Bereich des Kunden zu suchen ist, ein Innovator also besser versteht, was der Kunde eigentlich sucht, als dieser selbst. Dies erklärt auch, warum klassische Marktforschungen keinen Erkenntnisgewinn für echte Innovationen oder Disruptionen bringen. Niemand hätte Steve Jobs ein „Smartphone“ als Kaufbriefing definiert.

Auf dem Weg zu Angeboten näher am Kernbedürfnis bietet Komplexität kreative Chancen. Dazu muss das System, in dem eine Lösung positioniert ist, näher betrachtet werden, nicht das direkte Produkt-Wettbewerbs-Umfeld. Denn anderen zu folgen, die möglicherweise noch Pferde in bereits sterbenden Märkten reiten, ist kein Erfolgspfad. Komplexität ist nicht Kompliziertheit. Vielmehr findet sie sich in jedem System, dessen Parameter in nicht linearen und logischen, extrapolierbaren Beziehungen stehen, sondern, überraschend, nicht planbar und dynamisch bis chaotisch agieren. Ein System ist eine Gesamtheit von Elementen, die so aufeinander bezogen sind und in spezieller Weise Wechselwirkungen erzeugen und bilden, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder zweckgebundene Einheit funktionieren und begriffen werden können. Erkennt man die – oft erstaunlich wenigen – treibenden Parameter eines Systems, lassen sich diese über neue Denksynapsen steuernd beeinflussen, um daraus Innovationen zu entwickeln, die bisher kaum denkbar waren.

Jedes Unternehmen muss daher die bedienten OKs erkennen, um Risiken aus anderen Branchen zu identifizieren und Innovationen aus neuen Blickwinkeln zu schaffen. Die zentrale Frage lautet: Was ist mein „Job to do“, um diese originäre Intention des Kunden besser als alle anderen zu erfüllen?

Auf dem Weg zu Angeboten, die näher am Kernbedürfnis liegen, bietet Komplexität kreative Chancen. Durch die Identifizierung und Steuerung treibender Parameter eines Systems können Innovationen entwickelt werden, die bisher kaum denkbar waren.

Zur Messung und Erkennung innovativer Vernetzungsoptionen kann KI eine entscheidende Rolle spielen. Die Realität eines Systems umfasst viele Grautöne, die nicht einfach in mathematische Kennzahlen umgewandelt werden können. Mittels Fuzzylogik und neuen Werkzeugen zur Komplexitätsanalyse können jedoch fundierte Aussagen getroffen und digitale Simulationen erstellt werden.

Geschäftsmodelle und Strategien für die Zukunft sind immer häufiger in Märkten zu suchen, die nicht mehr über Produkte, Branchen oder Technologien definiert werden. Sie müssen über relevante Systemumfelder und originäre Kundenintentionen erschlossen werden.

Die Entwicklung solcher Geschäftsmodelle und Strategien erfordert eine andere Denkkultur und Führung im Unternehmen. Lineare Logik und Extrapolation des Gestern ins Morgen sind ungeeignet. Strategie muss flexibel und iterativ sein, um dynamischen Veränderungen gerecht zu werden.

Strategische Unternehmensführung erfordert zwei Kernkompetenzen:

  1. Eine fundamentale Orientierung an den Steuerungsfaktoren des relevanten Systems.
  2. Die Fähigkeit, Strategie als eine immerwährende und iterative Aufgabe zu verstehen und anzupassen.

Die wichtigste Kernkompetenz für komplexitätsfähige Führung ist Intuition. Je komplexer Organisationen werden, desto wichtiger wird die Nutzung und Integration von Intuition in tägliche Prozesse und Entscheidungen.

Je komplexer Organisationen werden und je schneller Veränderungen eintreten, desto wichtiger werden intuitive Einschätzungsstrategien. Intuition ist eine Mischung aus kreativen und meist unbewussten Fähigkeiten, Wissen und einem adaptiven Werkzeugkasten von Instinkten. Sie ermöglicht schnelle Urteile, Entscheidungen und Gefühle, deren Ursprung oft unbekannt ist, aber dennoch stark genug, um zum Handeln zu motivieren. Intuition ist wie ein innerer Autopilot, der situationsabhängig weiß, was zu tun ist, und Erfahrungs- und Handlungswissen unbewusst anwendet. Man könnte Intuition auch als „Handeln ohne nachzudenken“ beschreiben. Die Stärke der Intuition liegt in ihrem unbewussten Erfahrungswissen. Durch kontinuierliche Auseinandersetzung mit komplexen Problemen oder Themenfeldern sammeln wir bewusste und noch mehr unbewusste Erkenntnisse, die unsere Intuition weiterentwickeln.

Bauchgefühle oder Intuition basieren oft auf wenigen Informationen und entstehen spontan. Intuition kann Informationen ignorieren, filtern und das als richtig erkennen, was sie als relevant erachtet. Unser Gehirn hat die Fähigkeit, uns vor Informationsüberlastung zu schützen, indem es automatisch und ohne unser bewusstes Zutun Informationen aussortiert.

  • Gerd Gigerenzer machte in einem Experiment mit Footballspielern eine interessante Entdeckung: Er untersuchte, wie Spieler mit einer hohen Erfolgsquote hohe Bälle fangen. Diese Spieler liefen bei jedem Ballflug zielsicher in Richtung des Balls und trafen ihn genau an dem Punkt, wo seine Flugbahn sie erreichte. Was genau passiert dabei? Der Trainer dachte, dass die guten Spieler überlegen, wo der Ball landen könnte, und dann dorthin laufen, um ihn zu erwarten. Also forderte er die Spieler auf, noch früher loszulaufen, damit sie mehr Zeit für Korrekturen am Zielort hätten. Die Fangquote sank jedoch, und oft standen die Spieler sogar nicht am richtigen Punkt. Die Experimente zeigten, dass gute Spieler überhaupt nicht darüber nachdachten, wo der Ball landen könnte. Sie fixierten ihren Blick einfach auf den Ball, sobald er geschossen wurde, und passten intuitiv ihre Laufgeschwindigkeit und -richtung an die Flugbahn des Balls an. Die intuitive Faustregel lautete einfach: Halte den Blickwinkel zum Ball konstant. Der Spieler konnte den Landepunkt also nicht rational berechnen, aber dank der Intuition eines inneren, wiederholt trainierten Erfahrungsprogramms fand er ihn automatisch.

Dieses Beispiel zeigt vor allem auch, wie wichtig es ist, in der Führung von Unternehmen und Menschen Intuition zuzulassen, zu nutzen und in die täglichen Prozesse und Entscheidungen einzubeziehen.


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